Thomas Raschke - Prosa

Warum Goldschmieden

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Schmuck machen wollen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Meisterstück

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ereignisketten

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gabeln

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Preise, Trophäen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Futuristischer Lesesalon

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Möbel

Natürlich musste ich Kunst studieren. Mein Vater war Goldschmied, meine Mutter,

Opa, Uropa, Onkel, Vetter waren, oder sind noch Goldschmiede.  Ich bin in einem

Goldschmiedebetrieb aufgewachsen. Für mich war immer Weihnachten, kleine

Flammen brannten überall, es wurde wenig gesprochen, fast feierlich, es roch nach

Metall, Tee, Öl. Wie Glockenschlag war das Klingen der Hämmer auf den Ambossen

und Ringriegeln. Die Atmosphäre war geschäftig und streng. Wenn mein Vater, den

wir Kinder nur als den "Chef" ansprachen und in den Unterhaltungen betitelten,

nach dem Abendbrot nochmals in der Werkstatt verschwand, saßen wir oft lange

bei meiner Mutter, die abends emaillierte, am Ofen, oder bastelten mit ihr für die

neue Schaufensterdekoration.
Was mich immer umgab und immer das Naheliegenste war, dass zwischen den

Fingern von Menschen nach und nach schöne Dinge entstehen. Ich wurde genauso

selbstverständlich Goldschmied, wie man Butter aufs Brot streicht oder sich die Nase

putzt. Als ich meine Gesellenprüfung machte, kam zum ersten Mal der Verdacht auf,

dass ich goldschmiedisch nicht mehr viel hinzulernen könne und dass, wenn das

Ende erreicht sei, große Langeweile einkehren könnte. Gleichzeitig drückte die Enge

der Kleinstadt auf der einen und Berlin rief von der anderen Seite. Eigentlich wollte

ich bei einem meiner Goldschmiedeidole arbeiten. Ich besuchte Dobler, Kammermeier

und irgendwann Ingo Bischoff. Keiner hatte Zeit und Geld jemanden einzustellen,

ich wusste damals noch nichts von dem einsamen Kampf des avantgardistischen

Unikat-Schmuckmachers. Doch ich weiß nicht warum mich Ingo Bischoff fragte, ob ich

nicht Lust hätte ein Schweißerpraktikum zu machen…er kenne eine kleine Schlosserei

im Haus die auch Kunstaufträge mache. So landete ich drei Stockwerke tiefer in der

Windscheidstraße bei Pfeifer. Dieser wortkarge Metalligel hieß Pfeifer und viel mehr

erfuhr ich in der Zeit bei der pfeiferschen Werkform ArGe in Berlin, Windscheidstraße,

Hinterhof auch nicht über ihn. Ich kippte von meinem goldschmiedischen Tellerrand.

Ich schweißte die erste lebensgroße Figur aus Stahl.
Damit war Schmuck nur eine Sache von plötzlich vielen möglich gewordenen.

Mein Vater ein Goldschmied der alles konnte und das auch von seinem Sohn

selbstverständlich erwartete und er sah mich damals wohl schon als seinen Nachfolger,

schwärmte  immer: "Schmuck müsse sein wie ein Sonntagsausflug, schön,

entspannend, etwas aufregend und so dass man noch lange davon erzählen würde".

Das war jetzt vorbei. Ich wollte schönen Frauen fettigen Fils oder verbeultes Blei ans

Decolté heften und sah die Begrenzung und ertrug sie nicht. Doch meines Vater Ruf

als Lehrer für die Meisterklasse in Schwäbisch-Gmünd war mein Rückruf an das

heimische Werkbrett. Ab 1983 übernahm ich den Betrieb und Laden meines Vaters

und fand mich wieder so selbstverständlich wie zuvor in den Formen und Regeln meines

Berufs zurecht. Es dauerte nicht lange und ich verbrachte meine Freizeit auf

umliegenden Schrottplätzen suchte erst kleinere dann immer größere Materialstücke.

Das Lötrohr musste dem Schweißgerät weichen, die Bohrmaschine wuchs auf ein

menschliches Maß. Kleine und große Skulpturen entstanden. Schmuck wurde erneut

zum Experimentierfeld. Broschen aus Sand, mit Golddraht genähte Platten, vermengte

Farbgolde in Kombination mit Kunststoffen, nichts blieb unversucht. All die Ideen

bis zum fettigen Fils und zum verbeulten Blei wurden ausgelotet. Es reichte nicht,

ich wollte und musste mich in der Kunst versuchen um den Material- und

Formatbeschränkungen zu entgehen.

Durch das neue große Atelier, ein ehemaliges Theater, das ich mir mit befreundeten

Designern teilte, kamen auch weiter Veränderungen. Ich arbeitet als Modellbauer.

Das erste Projekt war ein Ausstellungssystem ganz aus Pappe. Das Filmmuseum in

Frankfurt brauchte eine passende Präsentationsmöglichkeit für die kommende

"Exilantenausstellung". Ab da war Pappe ein Teil meines goldschmiedischen Repertoires.

Es folgte die Mitarbeit an Möbeln, Maschinen und Bestecken.
Stahlschmuck entstand, Besteck als Kunstobjekt. Als Goldschmied fand ich zu

technischen Formen und Verbindungen. Verzapft, geschraubt, geklebt.
In der Meisterprüfung und vor allem im Meisterstück schlug sich diese

Technikbegeisterung nieder. Aber auch der umfangreiche Fundus an goldschmiedischen

Möglichkeiten die mir mein Vater eröffnete war ausschlaggebend, so frei über

gestalterische Techniken zu entscheiden. So war dem Reitz, eine alte japanische

Oberflächentechnik. "Mokume Gane", anzuwenden, die er wie vieles Andere virtuos

beherrschte, kaum zu widerstehen.
Ein Schnitt eine Landung an fernen Gestaden. Die Kunstakademie nahm mich endlich

in ihrem Schoß auf.

Heute im Rückblick, denke ich dass die intensive Arbeit als Bildhauer überraschend

wenig Einfluss auf meine Schmuckobjekte genommen hat. Natürlich ist eine

gestalterische Freiheit entstanden die nicht mehr an Grenzen stößt. Die Begrifflichkeit

für guten Schmuck findet sich für mich nicht mehr in einem Widerspruch der beiden

Disziplinen Kunst und Goldschmieden.
Beides folgt seinen ihm innewohnenden Kriterien. Vielleicht hatte mein Vater recht und

Schmuck sollte etwas haben von diesem Sonntagsspaziergang. Nur viel individueller.

Teures Edelmetall mit teuren Steinen gut gestaltet miteinander zu verbinden, kann

keinesfalls ein befriedigendes Ziel sein. Die Vorstellung, dass aus diesem Rezept

sich eine Wertanlage kochen ließe, ist längst überholt, Schmuck ist nicht mehr eine

Wertanlage als ein schnelles Auto oder ein hochwertiges Fahrrad. Das was Schmuck

eigentlich bedeutet, hat sich von seinen ursprünglichen Anfängen als Zeichen ritueller

Macht in seiner Zeichenhaftigkeit kaum verändert. War der Schamane im Besitz einer

Verbindung zu einer der Natur innewohnenden Göttlichkeit und symbolisierte das ein

Ring, so zeigt anspruchsvoller Schmuck heute dass sein Träger in Verbindung zu

Ästhetik und Kultur steht. Schützte in den vorderen Zeiten ein Amulett vor den

Einflüssen der dunklen Mächte, so schützt guter Schmuck vor dem Untergang des

Schönen und Wahren im eigenen Lebensumfeld. Ein Schmuckstück kann seinen

Träger andauernd mit etwas Licht von Tugend, Ewigkeit und Schönheit umgeben.

Individueller Schmuck kann noch mehr. Individueller, für eine besondere Person

gestalteter und angefertigter Schmuck sagt darüber hinaus laut zu all seinen

Betrachtern, schaut das gefällt mir, schaut das bin ich.

 

 

 

 

 

Sich zu schmücken ist ein elementares Lebensbedürfnis
Doch, Schmuck machen zu wollen, ganz ähnlich wie Kunst machen zu wollen ist
eigentlich schon der falsche Vorsatz. Er beinhaltet besonders beim Schmuck
klassische und stark tradierte Vorstellungen, so dass diese zwangsläufig das
Ergebnis immer wieder in die selbe Richtung tendieren. Jetzt soll aber das Ergebnis
sehr wohl Schmuck sein, ohne von der vorherigen Absicht auszugehen. Will man
zielgerichtet Schmuck machen behindern die all zu oft und all zu schnell als
Positivkriterien verinnerlichten Begriffe des "Schönen", was nicht mit Ästhetik
gleichsetzbar ist, der Vorstellung vom "Schmücken", die sich eher im Bereich der
reinen Dekoration ansiedelt und des "Wertvollen" das heute ein mehr oder weniger
pekuniären Inhalt umreißt.
Zwangsläufig resultiert aus dem angestrebten Ergebnis, schon, schmückend und
wertvoll, im weitesten Sinne zu sein, die mitproduzierte Langeweile und
enttäuschende Beliebigkeit. Bevor wir also über Schönheit und Wertbegriffe
reflektieren, gehen wir stillschweigend bei allem kreativen Schaffen von einem,
diesem innewohnenden stringenten Qualitätsbegriff aus. Bei aller Betrachtung der
Kriterien: wertvoll, dekorativ, und schön ist noch gar kein Wertmaßstab für Qualität
angelegt. Natürlich weiß jeder was das ist, Qualität, laut John Pirsing, selbst wenn
man nur ein Motorrad wartet und doch hat sich die Welt der Kreativen und Gestalter
auf weichen Untergrund begeben mit Wertmaßstäben, wie: witzig, geil, spannend
oder ansprechend. Die Wissenschaftlichkeit die in die Produktgestaltung oder
Kunstbetrachtung Einzug gehalten hat, mit Fachgebieten wie Semantik oder Semiotik
ist im Schmuck nie wirklich angekommen. An den meisten Hochschulen wird Ästhetik
und Kommunikation gelehrt. Wir reden einfach von gutem Schmuck und haben
selbst dafür nicht einmal einen fassbaren gesellschaftlichen Konsens.


1."Schöner Schmuck".
Prinzipiell und ganz rudimentär speist sich unsere Vorstellung von ,,schön" aus einem
unterbewussten Bedürfnis nach unverzüglicher Rezeption. Es geht um Vertrautheit.
Die schnelle Lesbarkeit und die daraus folgende Einschätzbarkeit der Situation sagt
uns, ob wir vor dem nahenden Säbelzahntiger weglaufen müssen oder noch
gemütlich weiter am Knochen nagen dürfen. Die schnelle Ablesbarkeit ist seit je her
elementar und vital. Alles was für uns gut erkennbar ist, muss auf den gleichen
Gesetzen beruhen, wie wir selbst. Syntax und Grammatik sind bekannt. Alle
natürlichen Proportionen und Maßverhältnisse sind uns vertraut. Sie sind die
Grundlage aller Ästhetik. Natur und Naturgleiches flößt uns eine Art Beruhigung, ein
Gefühl des ,,Eins-Seins" und genereller Harmonie ein. Man könnte jetzt so profan
sein und ganz unromantisch erkennen, dass das Gleichmaß eines Baumes oder die
Wohlgestalt einer Venus von Milo letztendlich das Ergebnis ist von Massen und
Hebelgesetzen, beruhend auf Gravitation und so durch die Evolution optimiert, dass
beide nicht vornüberkippen.
Doch das Maß und die Massen, das Verhältnis von Dichte und Streuung, Rhythmik
Form und Farbe weißen über das Wohlbefinden in Harmonie hinaus in den
Spannungsbereich der erotischen Gefühlswelt. Zur Ästhetik der Proportion gesellt
sich eine ethische Dimension, die Ästhetik der erzählten Geschichte. Amor küsst
Psyche. Oft erzeugt das Zusammenspiel einzelner ästhetischer Komponenten ein
gleichzeitiges ,,Anwesend-Sein“ von Ordnung und Unordnung. Ein Missverständnis
für das Schone ist angezeigt, wenn es über das legitime Bedürfnis nach intakter
Umgebung hinausreicht. Bürgerliche Harmonievorstellung gipfelt in Idylle oder Kitsch.

Das tiefe Bedürfnis sich in einer Atmosphäre von Gefahrlosem und Vertrautem zu
befinden übersteigert sich hin zu röhrenden Hirschen, deutscher Eiche und:
“oh sole mio“, singenden Kunststoff-Gondoliere. Schmuck der sich bewusst und
offensichtlich der Elemente des Kitsches bedient, weißt weit über die dumpfe Idylle-
Sehnsucht hinaus.

 

2."Sich schmücken"
Als Mao Tse-tung, der grol3e Vorsitzende beschloss, alle seine Soldaten vom
Kadetten bis zum General in die selbe Uniform zu stecken, ignorierte er schlicht weg
dass wir als visuelle Wesen auf lesbare Zeichen angewiesen sind. Ein paar Jahre
später jedoch hatten Offiziers-Hemden eine Brusttasche mehr. Disziplinarverfahren .
nahmen in Folge ab.
Wir schmücken uns nicht, man schmückt eher einen Weihnachtsbaum. Wir machen
Aufmerksam, wir geben Zeichen, wir sagen aus. Man dekoriert einen Geburtstagstisch
aber doch nicht sich selbst. Könnten wir unseren Körper als wertfreie Fläche
betrachten und wahlweise farbige und plastische Dinge darauf anbringen, diese mit
Drähten Federn, Blumen oder sonst was spicken, das Ganze untereinander spontan
verflechten, das käme einem "Schmücken" schon näher,
Der Urmensch der sich den Zahn des schon erwähnten, erbeuteten Säbelzahntigers
um den Hals hängte, setze ein deutliches nachhaltiges Zeichen. Seither bewegen wir
uns im weiten Feld der Semantik. Jeder Schmuck ist auch Bedeutungsträger. Mehr
oder weniger signifikant werden Inhalte vorgeführt wobei das fehlen von Auffälligkeit
sowie das zu stark ins Auge fallende an sich Inhalt ist.
Ein Schamane schlüpft zeremoniell in die Rolle eines Tieres. Federn, Fälle, Zähne und
Masken können das deutlich machen. Amulette, Federschmuck, manchmal
Webmuster, oder rituelle Narben visualisieren die Zugehörigkeit zu einem Stamm.
Das Mittelalter kennt Siegelringe, Ratsketten und eine ganz detaillierte
Kleiderordnung alle Insignien von Macht und Stand. Das setzt sich nahtlos fort über
die Orden des Barock, zu Parteiabzeichen, hin zu Buttons wie AKW-NEE, die
Gesinnung und Standpunkt zu erkennen geben. Derzeit zeigen außer extern
getragenen Schmuck und Piercings weit mehr Bereiche, wer oder was der Träger ist,
respektive sein möchte. Labels und Brands der Herstellerfirmen auf Textilien, farbige
Schnürsenkel scheiden den Nazi vom Hip-Hopper und ganz eins zu eins steht die
Mitteilung persönlicher Weltanschauung auf T-Shirts, Marke:

"l survived Ballermann 6". Insoweit ist Schmuck befreit und darf heute mehr
schmücken im Positiven denn je, da andere Bereiche nicht nur die Bekleidung,
Assesoirs und Autos, Aussagen über Stand, Geschmack und Haltung treffen.
Trotzdem bleibt er wichtiges Kommunikationsmittel als Abzeichen oder Spiegel von
Modebewusstsein, Bildung, Reichtum u.s.w.. Obwohl wir nicht wie in altvorderen
Zeiten die Bedeutung und Zuordnung von Schmuckstücken ablesen können, wie
etwa an einem königlichen Wappen oder mit Sicherheit sagen können dieser Ring i
war unerschwinglich teuer, ist die lnterkommunikation wesentlich feiner und präziser
geworden. Art und Gestalt von Schmuck dazu sein taxierter Wert, geben uns sofort
aussagekräftige Unterstützung, wollen wir unser Gegenüber einschätzen. Wir können
annähernd Schlüsse ziehen Über sozialen Hintergrund, Ex- oder Introvertiertheit und
selbstredend über das Maß an Konservativismus oder Progressivität des `
Schmuckträgers.

 

3."Wertvoll"
Wertvoll ist auch die Erinnerung, wie bei Trauerschmuck des 19. Jahrhunderts, in
Form von Haaren der Geliebten oder getrockneten Begräbnisblumen. Wertvoll ist
auch das Gefundene, die Muschel vom Strand, der schönste Stein einer Bergregion.
Wertvoll ist die Einzigartigkeit genauso wie das Skurrile. Wertvoll wird ein Kirschkern,
wenn darauf über zweihundert Gesichter eingraviert sind wie in Augusts
Wunderkammer. Das Wertlose im Kontrast zu dem bekannt Edlen und Teuren
steigert den Wert, zum Beispiel eines in Gold gefassten Diamant-Brillianten auf einer
rostigen Eisenfläche. Wertbegriffe sind subjektiv und manipulierbar. Ein ganzer
Industriezweig hat sich auf Edel-Schmuck zum Schnäppchenpreis kapriziert. Bei .
Tschibo, Quelle oder im Kommerzkanal via T. V. zu ergattern.
Die Verbindung von schön, schmücken und Wert führt offensichtlich nicht
gleichbedeutend zu gutem Schmuck. Sind diese Begriffe jedoch weitreichend geklärt,

lässt sich auf dieser Folie versuchen, das normative, unreflektierte Schmuckverständnis

auszublenden. Wer sich vor dem kreativen Gestaltungsprozess
schon Gedanken macht über die Tragbarkeit, die Haltbarkeit, oder den
Herstellungspreis, kürzt die Idee schon auf das derzeit Mögliche und Bekannte
zusammen. Andererseits ist die Einschränkung oder Konzentration auf einen Aspekt
wie der billigste-, oder der haltbarste Schmuck ein Instrument zur Ideenfindung. Eine
noch sinnvollere Herangehensweise, statt der Fokussierung auf einzelne Kriterien, ist
das Anregungs- und Ab-arbeitungs-Material aus schmuckfremden Ressourcen zu
schöpfen. Thema Sonntagsspaziergang, Häuserlandschaft, Afrika u.s.w. Diese

übergeordneten Begriffe lassen ausschweifende Kreativität zu, beinhalten aber
gleichzeitig Gestaltungskriterien. Der Sonntagsspaziergang, Naturerlebnis, die
Häuserlandschaft konstruktives und architektonisches Denken, Afrika das Kultische
und Primitive. Jedwede Beschäftigung, die Anhäufung von Information über das Thema,

Dinge wie, Sammlungen von Naturformen anlegen und systematisieren, Beschäftigung

mit Architekturgeschichte und Konstruktionsprinzipien, Riten, Sitten und
Kultgegenstande primitiver Kulturen erweitern immens den Horizont, Es entsteht ein
umfangreicher Bilder und Gedankenpool aus dem geschöpft werden kann. Der
Fundus für Neues. Die größte Herausforderung beim Schmuck machen ist immer ,
wieder, wie aus der reinen freien Idee zu guter Letzt ein haltbares tragbares Objekt
wird. Es ist jedes Mal ein neuer Weg, bei erhöhter Aufmerksamkeit den Inhalt oder
die Kraft der Idee nicht einzuschränken, gleichzeitig das Format, das Gewicht, die
Materialwahl und die daraus resultierende konstruktive Verbindung auf ein reelles
Schmuck-wirkliches Maß herunter zu kochen.
Man muss erst mal etwas aus Pappe gemacht haben, die sich nicht verformen lässt um
zu wissen was es heißt wirklich auf ein Gestaltungsprinzip festgelegt zu sein. Erst
wenn dünne Wachsschichten immer mehr der formenden Hand nachfolgen,
bekommt man ein Gefühl für die sphärische Form. Vorgaben wie nur Löcher und

durchgezogenen Draht als Verbindungselement zuzulassen zwingt zu neuen

Lösungswegen. Die Übersetzung in edle Metalle heißt dann so und so langwierige

und handwerklich anspruchsvolle Arbeit.

 

 

 

 

 

Mein Meisterstück entstand im Sommer 1991. Ein Meisterstück muss für die Meisterprüfung das Können des jungen Fast-Meisters bewertbar darstellen. Also ist ein Meisterstück nur in zweiter Linie dazu geeignet das gestalterische Vermögen des zu Prüfenden zu bemessen. In erster Linie zeigt man die Bandbreite an handwerklichem Können. Ein gutes Meisterstück verbindet mehrer goldschmiedische Oberflächentechniken, mechanische und funktionale Lösungen mit gelungener Gestaltung. Mein Vater musste mich nicht lange überreden, im Meisterstück eine Japanische Oberflächengestaltung zu präsentieren. Da er auch in dieser, vielen unbekannten, japanischen, Goldschmiede-Tradition bewandert war, wie kein Anderer, ließ ich mich gerne in die Geheimnisse dieser Kunst einweihen. Mokume Gane (Vogelaugen Holz) ist eine Technik bei der viele verschiedene dünne Bleche, die jeweils aus für unsere Ohren kuriosen Metallmischungen bestehen, aufeinander geschweißt werden. In diesen sandwichartigen dicken Metallriegel bohrt man konische Löcher. Dann folgt ein mehrer Tage dauernder Prozess aus schmieden und glühen bis zu guter letzt ein ebenes unter ein Millimeter dickes Blech mit Kreismuster in allen Farben entstanden ist, Mokume Gane. Alle Außenflächen meines Meisterstückes sind mit diesen gemusterten Metallplatten besetzt. Über eine gestalterische Technik hinaus war es mir wichtig auch eine mechanische Lösung zu präsentieren. Da das Schmuckstück ein Urarmband werden sollte, bot es sich an, das Uhrengehäuse mit einer so genannten Irisblende abzudecken. Das Prinzip der Irisblende findet man in vielen gängigen Kameras. Durch das Verdrehen eines Ringes schieben sich viele Lamellen derart übereinander, dass nach und nach eine größer werdende Fläche mit immer kleiner werdendem Loch in der Mitte entsteht. Eine solche Blende fertigte ich aus einer äußerst stabilen Platin-Legierung und kaschierte damit als Schutz und als Schmuckelement das Uhrengehäuse. Eine weitere Raffinesse ist das Armband-Schloß. Drückt man mit leichtem Fingerdruck auf die zwei roten Steine, ziehen sich zwei Bolzen zurück und lassen dadurch das Öffnen des Bandes zu. Im Schloss ist eine Übersetzung, die bewerkstelligt, dass durch das leichte aber tiefe eindrücken der Steine die Bolzen auf ihrem kurzem Weg trotz höherem Widerstand zurück weichen. Der letzte Clou war dann noch ein Geheimfach im Unterteil des Uhrarmbandes, das nur im abgelegten Zustand zu öffnen war und Platz für einen gefalteten Geldschein oder andere Kleinigkeiten bot. Die Prüfer der Handwerkskammer Unterfranken lobten die Arbeit sehr, meinten aber, sie stünden vor dem Problem, dass ihr Benotungskanon leider keine bessere Note vorsähe und dass ich mich damit eben zufrieden geben müsste. Nochmals vielen Dank.

 

 

 

 

Die erste Ereigniskette entstand 2000 zufällig mehr oder weniger aus Langeweile. Campingplatz, Lake Isabella, Kalifornien. Es ist dunstig heiß und aus lauter Langeweile fallen einem die vielen kleinen bunten undefinierten Farbtupfer auf dem Zeltplatzboden auf. Langeweile ist eine tolle Triebfeder der Kreativität. Sammeln wohl die älteste Leidenschaft der Menschheit. Also die Farbtupfen aneinandergereiht, es entsteht eine Kette. Womöglich sind so die ersten Schmuckstücke der Welt entstanden. Nein nicht aus Flaschendeckeln, Kronkorken und anderem Zivilisationsmüll. Aber doch auch aus Zivilisationsmüll dem damaligen so zu sagen, auf damaligen Campingplätzen. Knochenreste, übrig gebliebene Nüsse und andere Kerne damaliger Früchte herumliegende Scherben und Steine. Schmuck machen ist uralt und eigentlich ganz einfach. Zuhause hat mich diese erste Sammelkette immer wieder an den USA-Trip erinnert, eigentlich ein wunderbares Souvenir. Ein halbes Jahr später die gleiche Situation Strand, Türkei, Angeschwemmtes, Muscheln, Holz, Kunststoff. So könnte man da weiter machen jeden Urlaub eine Kette. Souvenirketten. Doch fand sich das Material der folgenden Ketten unter ganz anderen Umständen. Moritzplatz Berlin, ein Auffahrunfall. Die Geschädigten erfreuten mein Finderherz mit vielen kleinen Stückchen zerborstener Rücklichter und Reflektorscheiben. Neujahrsmorgen in Schwäbisch Gmünd, auf der Aussichtsplattform am Lindenfirst, hoch oben über der Stadt, liegen all die Reste der Silvesternacht. Raketenspitzen, Zündschnurkappen und vieles mehr. Jetzt werden Ereignisse festgehalten. Ein Kindergeburtstag und all die schönen bunten Einpackpapiere von Schokoladengenüssen der Kinder und deren alkoholischen Varianten für die Eltern, verwandeln sich in eine weitere Ereigniskette. Die neuste Kette besteht aus heruntergefallenen "Lösgodis". Hier in Schweden gibt es in jedem Lebensmittelladen auch offen angebotene Süßigkeiten. Man nimmt eine kleine Schaufel und füllt sich eine bunte Papiertüte. Je nach Gusto..nur geht auch mal was daneben, landet auf dem Boden um sich dann nach und nach auf meine Lösgodis-Kette zu reihen.

 

 

 

 

 

1983 kurz nachdem ich begonnen hatte, den elterlichen Betrieb in Schwäbisch Gmünd mit Werkstatt und Laden weiter zu betreiben, brachte uns ein befreundeter Grafiker Hubert Minsch auf die Idee sich gemeinsam genauer mit dem Gegenstand "Gabel" zu befassen. Anregung gab seine umfangreiche Sammlung die von Renaissance-Gabeln über seltene Klappgabeln bis hinzu einfachen bäuerlichen Gabeln reichte. Während Hubert Minsch das Thema zeichnerisch und malerisch einkreiste warfen wir, ich und mein Kompagnon Max Hoffmann, also wir uns handwerklich auf das Thema. Das war der Grundstein zu einer längeren Erfolgsgeschichte. Es entstanden an die hundert Gabeln, Besteckobjekte, Skulpturen Zeichnungen und Bilder. Das Spektrum reichte von produktgestalterisch ernst zunehmenden Prototypen über Humoristisches bis zu im höchsten Grade Künstlerischem. Wir loteten alle Bereiche aus, Holzstücke und Metallteile wurden auf ihre Gabeltauglichkeit überprüft, Ismen, Künstler und Stilrichtungen zitiert. Auf Max Hoffmanns Besteck sammelten sich erotische Faune und Elfen auf den Griffen Hubert Minsch nahm die Gabel in vielen Bildern mit Humor, Idee und illustratorischer Raffinesse, sprichwörtlich auf die Schippe. Es folgte eine Ausstellung, ein Katalog, weitere Ausstellungen und Veröffentlichungen in allen deutschen Fachzeitschriften. Die Gabeln reisten durchs Land, einzelne Stücke haben ihren Weg bis nach Australien und Amerika gefunden. Vielleicht treffen wir drei uns in betagten Jahren und mein Vorschlag wäre sich dann mit dem Konterpart, dem Messer zu beschäftigen.

 

 

 

 

 

Silberne Pokale, man könnte gegebenenfalls ein Schluck Champagner daraus trinken, schwere Marmorsockel Lorbeer und Girlanden. Goldene Teller und Schalen darauf unbeholfene Fußballspieler, in die Fläche gedrückte Pferdeköpfe unpassende Namensschilder. Kennen wir alle. Nicht wirklich schön, und in Glasschränken potenziert und aufgereiht verschwinden diese Erinnerungsbecher in der Masse der Beliebigkeit. Die Geste ist aber enorm wichtig, das Übereichen, das dazu Gesagte, die Ehrung, der Handschlag das Sichtbar Zeigen des Errungenen. Das hat eine unendlich lange Tradition. Preis-Pokale und Trophäen sind ja nur die aufgeladenen Statthalter dessen was man wirklich geschafft hat. Sie sollten mit Respekt und vielleicht etwas eleganter und individueller die Einzelleistung des Ausgezeichneten zum Ausdruck bringen. Bei den Trophäen zum Bundesweiten Wettbewerb "Schulen ans Netz" ist es gelungen den Objekten die Schwere zu nehmen und den Sockel ins Ganze mit einzubinden. Nichts desto trotz ist durch die Materialwahl Edelholz und Metall die hohe Wertigkeit und Anmut beibehalten. Noch gelungener ist das in der von der Deutschen Telekom und Focus verliehenen "Digi-Globe". Hier ist das Edle virtuell. Man sieht eine goldene Weltkugel mit Sternen, dreidimensional, rein als Hologramm zwischen den Glasscheiben schweben. Die Transparenz zieht sich durch alle Materialien, der Sockel ist durchscheinend und die Aufschrift scheint darauf zu schweben. Es gibt sicherlich noch mehrer Möglichkeiten anspruchsvolle edle und elegante Trophäen zu schaffen die ganz individuell je nach Rahmen und Aufgabe ihre Form finden. Der beste Weg dahin ist ein persönliches Gespräch um ein Gefühl für den Anlass und die Bedeutung des Preises zu bekommen. Daraufhin kann man in die Entwurfsphase gehen. Gerne mache ich verschiedene Skizzen mit Massen, Materialvorschlägen und ungefährem Stückpreis.

 

 

 

 

 

Es war Gabriele Ott-Osterwold, die wuste, dass ich zeichne, Skulpturen, Möbel Objekte und etliches mehr produzierte. Sie hatte schon mehrer Zeichnungen für die Graphothek der Städtische Bibliothek in Stuttgart erworben. Sie unterbreitete mir den Vorschlag, ich solle mir etwas zur Buchpräsentation in dem neuentstehenden Biblotheksbereich, dem futuristischen Lesesalong einfallen lassen. Wichtig war dabei daß man die thematische Zuordnung der gewünschten zwölf Presentationsflächen leicht erkennen kann. Auch eine hohe Mobilität der Buchpräsentation war gewünscht. So entstanden Buchroller, die durch ein Symbol wie eine Fahne, weit oben angebracht, leicht zu erkennen und zu unterscheiden waren. Themen wie Raumfahrt, Kunst, Musik, Krimi, Autoren und viele mehr mussten als kleine signifikante Objekte realisiert werden. So bekam ein Roller eine rot-weisse Rakete,für „Musik“ eine Lyra, für die Krimiabteilung ein Revolver, die Liebe ein Herz und so weiter. An den Lenkstangen befinden sich Klingeln, Scheinwerfer, Hupen oder andere Utensilien insoweit sie zum Themen-Symbol passen. Nachdem die Buchroller ihren Platz gefunden hatten fanden sie beim Publikum grossen Anklang. Sie sind lustig und verspielt, leicht zu bewegen und dadurch äußerst mobil zwischen all den Bücherregalen. Über die Regalhöhe hinaus ragen die plastischen Symbole, die so von überall Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Was macht eine futuristischen Lesesalong aus, neue Medien, Vernetzung Internetrecherche. Den Buchrollern folgten Computerarbeitplätze für die Bibliotheksbesucher. Auch die sollten mobil sein. In der Gestaltung war zu berücksichtigen, dass alles in einem so öffentlichen Raum einem hohen Verschleiss durch die Nutzung ausgesetzt ist. So sind die Mousepats in den Arbeitflächen versenkt, die Kabel verschwinden rückseitig in den verschlossenen Computerschränken die Berührflächen sind Holz oder Stahl. Durch ihr hohes Eigengewicht stehen die Möbel fest auf den blockierten Gummireifen. Mit der kontinuierlichen Veränderung des Lesesalongs entstanden immer wieder neue Ideeen, Möbel zu integrieren. Weitere Präsentationsflächen wurden nötig. Mehrere leiterförmige Buchständer entstanden die sich da und dort an Freiflächen in der Bibliothek anlehnen lassen. Ein grosser Marketänderwagen im Stil der Buchroller fügt sich in das Gesamtbild ein. Auf ihm werden ganze Buchserien zu einem Thema präsentiert. Die Bücher werden direkt vom Wagen ausgeliehen und die entstandenen Lücken wieder aufgefüllt.

 

 

 

 

 

 

Zurückgekommen aus Berlin in meine Heimatstadt, hatte ich etwas für mich ganz neues im Reisegepäck, die Fähigkeit Stahl zu schweissen. Nun lies sich der Schmuck vergrössern, wurde dreidimensionaler und hieß vortan Objekt. Aus der Not neue Möbel zu brauchen und der latenten Unzufriedenheit mit dem was sich als solche zum Kauf anbot, entstand das erse Metallmöbel, zwei Betten, die über Eck angeordnet gleich als Laufstall für die meine kleine Tochter Lele diente. Die Atmosphäre in meiner Kleinstadt Schwäbisch Gmünd war überraschgend kreativ und bejahte alles was mit Gestaltung und Kunst im weitesten Sinne zu tun hatte. Auf der einen Seite die lange Tradition des Kunsthandwerks in der ehemaligen Reichsstadt auf der Anderen strahlte die Fachhochschule für Gestaltung mit all den Grafikern und Produckdesignern ideenreich und offen in die Stadt hinein. So ergab es sich auch, dass ich mein Atelier mit Designern teilte und fast automatisch und ganz selbstverständlich an Modellen und Stahlmöbeln mitarbeitete. So avancierte ich zum Modellbauer bei „industriell designers“, einer kleinen Designagentur. Es folgten Wettbewerbsbeteiligungen. Es entstandt ein Prototyp für einen Stapelstuhl, ein frei hängendes Bett für „Wohnen von Sinnen“, eine der wichtigsten Designmöbel Ausstellungen in Deutschland. Mein „Kinderstuhl für Erwachsene“ passte gut in die sozialkritische Zeit der späten Achtziger und wurde in die Designshow „Erkundungen“ aufgenommen. Mit Stanislaus Kutaç realisierten wir den Umbau des Buchhandel Hoffmann in Ulm. Als Entreé und Blickfang baute ich zwei riesige Vitrinen aus gerundeten Stahlplatten, die sich wie Schiffskörper um die vorhandenen Betongsäulen schmiegten. Die Aufnahme an die Stuttgarter Kunstakademie veränderte meine Fokus hin zur Bildhauerei. Der Horizont öffnete sich, vom Goldschmieden über den Modellbau zur Kunst. Alle Materialien und Stile wurden ausprobiert. Stahl, Holz, Pappe, Schrott oder Gummi. Während des Studiums entsrtanden dann Einrichtungsgegenstände aus dem einfachen Bedarf heraus. Bett, Regal, Esstisch, Stühle und Werkbank. Bis heute schliessen selbstgebaute Möbel all die Lücken die der Mangel an passendem oder funktionierndem im Wohnen hinterlässt.